Long COVID – Was ist das eigentlich genau?
Ganz kurz gefasst könnte man sagen: Eigentlich genesen und dennoch chronisch krank!
Mittlerweile sind allein in Deutschland über eine halbe Million Menschen davon betroffen. Statistisch gesehen sind es mindestens zehn Prozent, die nach einer COVID-19-Erkrankung an ganz unterschiedlichen, oft neu aufgetretenen gesundheitlichen Beschwerden leiden, die überdies deutlich länger als drei Monate anhalten. Und da reden wir nicht von Haarspitzenschmerzen.
Das sogenannte Post-COVID-Syndrom stellt sich auch bei eher milden, moderaten oder sogar asymptomatisch verlaufenden Infektionen mit SARS-CoV-2 ein. Gemäß klinischer Falldefinition durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht es dabei um eine Vielfalt an Symptomen, die fast alle Organe betreffen können.
Zu den am häufigsten auftretenden Symptomen gehören:
- das postvirale Fatigue-Syndrom (krankhafte Erschöpfung)
- Kurzatmigkeit beziehungsweise Atemnot
- neurokognitive Dysfunktion wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
„Clinical Case Definition of Post COVID-19 Condition by a Delphi Consensus“, WHO, 6 October 2021
„Post-COVID-19 tritt bei Personen mit einer wahrscheinlichen oder bestätigten SARS-CoV-2-Infektion auf, in der Regel 3 Monate nach Beginn der COVID-19-Symptome, und für eine Dauer von mindestens 2 Monaten und kann nicht durch eine alternative Diagnose erklärt werden. Häufige Symptome sind Fatigue, Kurzatmigkeit und kognitive Dysfunktion sowie weitere Symptome, welche sich im Allgemeinen auf die Alltagsfunktionen auswirken. Die Symptome können nach der anfänglichen Genesung von einer akuten COVID-19-Episode neu auftreten oder nach der anfänglichen Krankheit bestehen bleiben. Die Symptome können im Zeitverlauf schwanken und es kann zu Rückfällen kommen.“
Wer von Long COVID betroffen ist, kann oftmals seinen Berufs- und Alltagstätigkeiten nicht mehr in gewohntem Umfang nachkommen. Gemäß einer Studie können circa 45 Prozent der Long COVID Patienten auch nach mehr als einem halben Jahr nicht mehr in Vollzeit arbeiten und 22 Prozent sind sogar arbeitsunfähig. Viele Betroffene berichten, dass dieser unerträgliche Zustand bei ihnen schon über ein Jahr lang so anhält.
In einer anderen Studie wurde der Fokus auf die Erfassung der Long COVID Symptome gelegt. Über 200 an der Zahl sind darin gelistet, wobei aber über die Ursachen kaum Aussagen gemacht werden können. Dies hat natürlich Folgen für die Therapie-Ansätze, die nur unzureichend begründbar sind. Wer von Long COVID betroffen ist, leidet zwar faktisch an einer chronischen Erkrankung, aber er kann gar nicht gezielt behandelt werden und Rehabilitationsmaßnahmen greifen meistens ins Leere.
Aus der klinischen Forschung liegen nun erste Erkenntnisse über zum Teil wechselwirkenden Ursachen der Long COVID Symptome vor:
- lang anhaltende Virusinfektion, sogenannte virale Beständigkeit
- Entzündungen beziehungsweise hyperentzündliche Zustände
- Immundysregulation und Autoimmunität
- hormonelle Veränderungen als Folge eines gestörten Stoffwechsels
- Gerinnungsstörungen im Verein mit Gefäßerkrankungen
- autonome Dysfunktionen durch Störungen des Nervensystems
- Fehlanpassungen beim ACE2-Pfad
Einige Wissenschaftler von der Berliner Charité gehen davon aus, dass ungefähr ein bis zwei Prozent aller Menschen, die an COVID-19 erkrankt sind, schwere Formen von Long COVID entwickeln, die sich unter anderem dadurch auszeichnen, dass nach mindestens einem halben Jahr Diagnosekriterien für eine „Myalgische Enzephalomyelitis“ (ME) beziehungsweise ein „Chronisches Fatigue Syndrom“ (CFS) vorliegen. Bis zum Ende des Jahres 2021 sind möglicherweise zusätzlich bis zu 100.000 vor allem jüngere Menschen allein in Deutschland davon betroffen.
Long COVID – Versuch einer Definition
Vorausgeschickt sei an dieser Stelle, dass es zurzeit noch keine einheitliche Definition dafür gibt. Um ein Post beziehungsweise Long COVID zu diagnostizieren, kann der Arzt sich aber auf den „Cochrane Rehabilitation Review“ von 2020 berufen. Darin werden immerhin gleich vier Kategorien angeführt:
- Bestimmte Symptome, welche sich aus einer akuten COVID-19-Phase oder aus deren Behandlung ergeben und weiter fortbestehen
- Symptome, welche zu einer weiteren gesundheitlichen Einschränkung geführt haben
- Symptome, welche erst nach der akuten Phase auftraten, aber als Folge einer COVID-19-Erkrankung identifiziert wurden
- Verschlechterung einer bereits bestehenden Grunderkrankung
Long COVID – Terminologie
Zum ersten Mal tauchte der Begriff Long COVID im Mai 2020 auf. Unter dem Hashtag #longcovid beschrieb Elisa Perego ihre anhaltenden Beschwerden, nachdem sie COVID-19 durchgemacht hatte. Im Englischen findet man dazu oft die Bezeichnung long haulers.
In den deutschen und österreichischen Leitlinien wird dazu eine Unterscheidung vorgenommen, die sich an der Dauer der Beschwerden orientiert:
- Long COVID
In diesem Fall bestehen die Symptome länger als vier Wochen und/oder es kommen noch neue Symptome hinzu.
- Post-COVID-19-Syndrom
Hierbei bestehen die Symptome schon länger als drei Monate, oftmals treten auch noch neue Gesundheitsstörungen hinzu, die anderweitig gar nicht erklärbar sind.
Das Fortbestehen der Symptome zwischen der vierten bis zwölften Woche bekam gleich ein ganzes Bündel leicht unterschiedlicher Bezeichnungen:
- Anhaltend symptomatischer (prolongierter) COVID-19-Infekt
- Fortwährend symptomatische COVID-19
- Anhaltende Symptome von COVID-19
- Post-akute Folgen von COVID-19
- Postakute Folgeerscheinungen der SARS-CoV-2-Infektion
Long COVID – Verbreitung
Wie hoch der Anteil all jener, die COVID-19 durchgemacht und Langzeitfolgen entwickelt haben, wirklich ist, kann zurzeit noch nicht ganz exakt beziffert werden. Genauere Aussagen können aber über diejenigen gemacht werden, die zu den hospitalisierten Patienten zählen. Mehr als die Hälfte von ihnen berichtet noch nach über zwei Monaten nach der Entlassung über massive Symptome.
Das britische „Office for National Statistics“ (ONS) veröffentlichte Anfang des Jahres 2021, dass knapp ein Drittel all derer, die wegen eines schweren COVID-19 Krankheitsverlaufes stationär behandelt werden mussten, danach erneut in ein Krankenhaus eingewiesen wurden, weil ihre Long COVID Erkrankung entsprechend heftig ausfiel. Diese Statistik wies weiterhin aus, dass 12,5 Prozent der Patienten mit schweren COVID-19 Krankheitsverläufen an den Spätfolgen gestorben sind.
Von Interesse sind natürlich auch Long COVID Symptome, die möglicherweise durch Impfungen ausgelöst worden sein könnten. In diesbezüglichen Studien wurden immerhin mehr als 100.000 geimpfte Personen näher betrachtet mit dem Ergebnis, dass Corona-Impfungen derartige Symptome definitiv nicht nach sich ziehen.
Gibt es für die Entwicklung von Long COVID bestimmte Risikofaktoren?
Zu dieser Frage wurde im Oktober 2020 eine Studie des Londoner „King’s College“ veröffentlicht. Darin werden die folgenden Risikofaktoren ausgestellt:
- Das Alter eines Menschen, insbesondere wenn 50 Jahre überschritten sind
- Bei jüngeren Menschen sind Frauen etwas häufiger betroffen
- Übergewicht ist ein deutliches Merkmal
- Asthma (durchaus naheliegend)
- Zusammentreffen dieser fünf Symptome: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Husten, Durchfall, Verlust des Geruchssinns
Eine klinische Übersichtsstudie zu diesem Thema hat das „British Medical Journal“ (BMJ) im Juli 2021 publiziert. Darin wurden die Daten aus 218 Publikationen über Long COVID zusammengefasst.
Möglicherweise ist unsere Blutgruppe mit entscheidend
Eine Studie norwegischer und deutscher Wissenschaftler wies auf einen Zusammenhang hin, der eher genetischer Natur ist. Bestimmte Blutgruppen scheinen die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen, dass durch COVID-19 ein Atemversagen ausgelöst wird.
Bereits einigen chinesischen Wissenschaftlern war es aufgefallen, dass überdurchschnittlich viele an COVID-19 erkrankte Menschen die Blutgruppe A hatten, während die Blutgruppe 0 fast eine Art Schutzwirkung aufweist. Wir wissen zum Beispiel, dass Menschen mit Blutgruppe 0 selten schwer an Malaria erkranken. Dagegen haben diejenigen mit Blutgruppe A seltener die Pest bekommen.
In Deutschland gibt es in etwa gleich viele Menschen mit den Blutgruppen 0+ und A+, jeweils um die 36 Prozent. Circa neun Prozent haben B+, während 0- und A- jeweils bei sechs Prozent der deutschen Bevölkerung vorkommen. Seltener sind die Blutgruppen AB+ (4 %), B- (2 %) und AB- (1 %).